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Michael Wollny, Tamar Halperin, and Hessischer Rundfunk Big Band Photo Credit: © Ali Ghandtschi / Berliner Festspiele |
We are pleased to welcome Stefan Hentz to the pages of LondonJazz News with a round up of the 2013 Berlin Jazz Festival. English translation here.
Kurze Biografie Stefan Hentz: Geboren in Kaiserslautern, aufgewachsen in Offenbach/Main. Seit 1984 in Hamburg. Beatles mit 6, Cream mit zwölf, Mahavishnu mit 15. Coltrane wenig später, seitdem musikalisch etwas einseitig. Besondere Interessen: Das was die Märkte ignorieren. Improvisierte Musik, Jazz. Freier Journalist, Schwerpunkt Kultur. Schreibt für Die Zeit, Neue Zürcher Zeitung, u.a. Lieber Punk als Pop. Lieber Fußball als Hockey. Lieber Benjamin als Mann. Lieber Rebellion als Romantik.
Weite Bögen prägten das Berliner Jazzfest 2013, Bögen von Afrika nach Europa und weiter nach Amerika; von der Vorzeit des Jazz in seine Hochphase und bis in die Gegenwart. Spannungsbögen, die das Berliner Jazzfest 2013 zu einem besonderen Jazzfestival machten, zu einem Festival, in dem sich die einzelnen Programmpunkte einander ins Licht rücken und in den Lücken zwischen den verschiedenen Ästhetiken Energie erzeugen. Mit seinem zweiten Festivalprogramm unterstrich Bert Noglik, einer der einfühlsamsten unter den Jazz-Publizisten in Deutschland, der seit 2012 das Programm des Jazzfest verantwortet, dass er das Besondere des Festivals weniger im Spiel mit berühmten Namen und glamourösen Stars (auch die gibt es unter den 22 Acts des Festivals) oder anderen Oberflächenreizen verortet als in den subliminalen Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Programmpunkten, die dem Berliner Jazzfest in leuchtendem Kontrast zu den handelsüblichen Nummernrevues sein eigenes, sehr musikalisches Profil gibt.
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Christian Scott, Richard Howell Photo Credit: © Ali Ghandtschi / Berliner Festspiele |
Nachdem bereits am Mittwoch Abend eine Auftaktveranstaltung mit Film, Podiumsdiskussion und einem Konzert des deutsch-malischen Trio Ivoire auf den afrikanischen Akzent des Festivalprogramms eingestimmt hatte, setzte das Festival einen Tag später Eckpfosten: der in New Orleans geborene Trompeter Christian Scott ist ein Musiker, wie ihn wohl nur die Wiege des Jazz hervor bringen kann, ein Virtuose auf der Höhe seiner Zeit, kraftvoll und erdverbunden, groovy und klar, gleichzeitig unterhaltsam und intellektuell. Ein Nachfahre Buddy Boldens, der den Beats und Sounds der aktuellen Popmusik ebenso aufgeschlossen gegenüber steht, wie der Leidenschaft seiner Vorväter. Aus der Perspektive eines dreissigjährigen Afroamerikaners übersetzt er die Erfahrung des nach wie vor massiven Alltagsrassismus in eine Musik voller Kraft und Frische, Eleganz und Wut. Und während sein vor Jahren an der Jazzhochschule Berklee gegründetes Sextett unüberhörbar entlang der Regeln der Akkord-Skalen-Grammatik des formalisierten Lehrbetriebs durch die Oktaven tänzelt, wird es erst durch einen Gast aus einer anderen Zeit ins rechte Licht gesetzt. Dreißig Jahre älter als Scott ist der Sopransaxofonist Richard Howell, einv´iel zu wenig bekannter Musiker, der einst an der Seite von Musikern wie Jimmy Smith, Cecil Taylor oder Don Cherry seinen konzentrierten Ton entwickelte. Erst die unaufgeregte, melodische Klarheit seiner Linien bringt das Treiben der Jungen zum Leuchten: alt UND jung – eine Begegnung, die die Altersringe des Jazz sichtbar macht, und das, was dem frischen Holz bei aller technischen Klasse fehlt.
Um mehrere Zeitalter tiefer in das Wurzelwerk des Jazz stieg im Anschluss das Projekt Gnawa Jazz Voodoo, das Joachim Kühn für das Festival zusammengestellt hat. Der 1944 in Leipzig im früheren Ostdeutschland geborene Pianist, ist wahrscheinlich der deutsche Musiker, der die Internationalität des Jazz am radikalsten auslebt. Aufgewachsen an der einstigen Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs im Schlagschatten seines 14 Jahre älteren Bruders, des damals schon international gefeierten Jazz-Klarinettisten Rolf Kühn, entwickelte sich Joachim Kühn zu einem furiosen Instrumentalisten, in dessen Spiel sowohl die Großen der europäischen notierten Musik wie auch die Meister des Jazzklaviers deutliche Spuren hinterlassen haben. Mittlerweile lebt er auf der Baleareninsel Ibiza und pflegt mit einem deutsch-spanisch-marokkanischen Trio über das Mittelmeer hinweg den Kulturaustausch, gerade auch mit den legendenumwobenen Gnawa-Musikern, deren Vorfahren einst aus Westafrika nach Marokko gekommen waren.
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Joachim Kühn, Pharaoh Sanders Photo Credit: © Ali Ghandtschi / Berliner Festspiele |
Für das Berliner Konzert verstärkte Kühn sein Trio durch weitere Gnawa-Musiker, drei Perkussionisten aus unterschiedlichen Regionen Nord- und Westafrikas und durch Pharoah Sanders, der sich in den 60er-Jahren mit seinen hymnischen Stratosphärenflügen an der Seite von John Coltrane den Status einer echten Jazzlegende erspielte. Eine weit gespannte Gemeinschaft von Erben: Der heimliche Bacherbe trifft auf den Nachlassverwalter des Coltrane-Heritage trifft auf die Hüter der afrikanischen Quelle. Das Resultat? Party, eine Nachbarschaftsparty von Tanz und Trance, von Rhythmus und Groove, die auch dem schon recht mitgenommenen Pharoah Sanders die Energie für eine eindrucksvolle und ausgelassene Tanzeinlage einhaucht. Ansonsten ist Sanders hier fehl am Platz. Ihm fehlt die Bindung zum Gebrodel der Musik, im Alter von 74 Jahren fehlt ihm mittlerweile die physische Präsenz, um, so wie es Kühn am Klavier vormacht, die Musik einfach auf seine eigenen Kanäle leiten zu können, ihm fehlt die Kraft, seinen Ton auf dem Saxofon abheben zu lassen und sich auf den Schwingen der Melodie in die Stratosphären des Ausdrucks hochzuschrauben, wo er früher zuihause war. Es klingt wie Abschied, einer der ganz Großen, der nicht mehr an die Erwartungen heranreicht, die er selbst einst weckte.
Eine sehr stabile Brücke zur europäischen Vergangenheit markierte einen Abend später „Wunderkammer XXL“ ein Projekt, in dem das Zusammenspiel zwischen dem deutschen Pianisten Michael Wollny und der israelischen Cembalistin Tamar Halperin in der Begegnung mit der Bigband des Hessischen Rundfunks mit einer neuen Wunderwelt an Farben ausgestattet wurde. Schon der Zusammenklang von Klavier und seinem Ahnen, dem Cembalo ist ein klangliches Abentuer, das Wollny und Halperin gewitzt auskosten. Bruchlos gehen die Klänge in einander über, geben dem Wohlklang des Klaviers Kanten, verlängern seinen Nachhall und verbinden sich in immer wieder spannenden Klangvarianten – doch die Wucht der HR-Bigband, die mit einem reichhaltigen Sammelsurium an Flöten- und Saxofonvarianten eine zusätzliche Palette ins Spiel bringt, katapultiert dieses Farbenspiel in einen erweiterten Kosmos.
Neben solchen Projekten, die ihre Gegenwärtigkeit mit der Rückkopplung an die Wurzeln des Jazz unter Hochspannung setzten, konnten andere Highlights, die sich nur auf ihre Gegenwärtigkeit bezogen, nicht so recht mithalten: Der Klezmer-Funk von Abraham Inc, einer Großband um den Posaunisten Fred Wesley und den Klarinettisten David Krakauer zum Beispiel blieb dagegen ebenso kunsthandwerklich flach wie die Band von Jack DeJohnette mit dem Klarinettisten Don Byron. Alles Könner, die wissen, wie es geht, die traumwandlerisch sicher zwischen den Taktarten und Zeitempfindungen springen, die einen geminsamen Puls entwickeln und mit der Klasse ihres Spiels verblüffen, aber keinen Kontakt aufnehmen. Ein Blick auf die Uhr, und es wird deutlich, dass es hier um Business geht und nicht darum, mit der Musik eine Verbindung mit Menschen herzustellen, und aus den Spannungsverhältnissen zwischen deren und der eigenen Geschichte und derjenigen der Musik ein Erlebnis zuzulassen, das über den Moment hinaus geht.
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Ernst-Ludwig Petrowsky Photo Credit: © Ali Ghandtschi / Berliner Festspiele |
Doch, und hierin liegt die Stärke des Berliner Jazzfests, immer wieder löst sich die Musik hier aus der Umarmung des Hier und Jetzt, tritt in Beziehung zu anderen Zeiten, zu ihrer Geschichte, der Tatsache ihres Wandels und damit auch zu ihrer Zukunft. Das gilt für die nächtliche Feier des Lebenswerks des Saxofonisten Ernst-Ludwig Petrowsky in der Akademie der Künste. Petrowsky, seinerzeit eine der markantesten Stimmen des Jazz aus der DDR, der im Dezember seinen 80. Geburtstag feiert, erhellt hier die Nacht mit drei Sets mit verschiedenen Quartetten, die durch die Schichten seiner Musik schneiden und für einen kurzen Moment das Faktum der Zeit auslöschen. Oder es zumindest vergessen machen.
Das gilt ebenso für das erweiterte Quartett der Altsaxofonistin Ilona Haberkamp, die sich noch einmal die Musik der legendären Pianistin Jutta Hipp vornahm, die wie ein Komet die deutsche Jazzszene der 50er-Jahre erleuchtete, bevor ihr Licht schließlich in New York verglühte. Das gilt schließlich auch für die späten Darbietung von FOOD, dem britischen Saxofonisten Iain Ballamy und dem norwegischen Perkussionisten Thomas Strønen, die im Zusammenspiel mit dem Wiener Gitarristen Chistian Fennesz ihren laptop-bewehrten Blick in die Zukunft der improvisierten Musik mit einem fast schon klassischen Formwillen gjrundierten. Oder für Jaimeo Browns Transcendence, die die Freiheit ihrer hymnischen Improvisationsmusik mit Bezügen zu den Harmonien des Gospel, den Rhythmen des Hiphop und Samples von gesprochen Blues-Litaneien mit verschiedenen Schichten der afroamerikanischen Musik vernetzte. Wenn das Neue und das Alte sich dialektisch verschlingen, so scheint das Berliner Jazzfest zu sagen, wenn das eine mit dem anderen reagiert, dann muss man sich um eine Zukunft des Jazz keine Sorgen machen.
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